Wenn Spencer Tunick eines seiner ungewöhnlichen Installations-Happenings vorbereitet, dann ist die Aufregung groß, egal wo auf der Welt. Tunick lichtet Ansammlungen von entblößten Menschen im öffentlichen Raum ab. Seine Kunstform ist so sensationell wie unerschöpflich: Besondere Orte gibt es genug auf der Welt, nackte Menschen auch und Botschaften, die es zu vermitteln gilt, sowieso immer wieder neue.
Seit 1992 fotografiert der New Yorker Spencer Tunick nackte Menschen. Bis zu Tausende tummeln sich auf seinen Bildern. Es sind faszinierende Abbildungen von einer homogen-wirkenden Masse aus verschmelzenden nackten Körpern, in denen man verführt wird nach Identitäten zu stöbern. Tunick integriert seine unzähligen Teilnehmer wie ein Muster, das entweder im klaren Kontrast oder in organischer Harmonie zu Landschaft oder Architektur steht. Insgesamt 75 solcher temporärer Menschen-Installationen im öffentlichen Raum hat der Künstler bisher vornehmlich in USA und auf der ganzen Welt inszeniert und fotografiert – an einzigartigen Orten wie Gletschern, riesige Stadien, zentrale Plätze, abstrakte Fassaden oder in den Innenräumen öffentlicher Gebäude. Dann dirigiert der Künstler die Menschenmenge und greift schon mal ans Megaphon, um ihnen Position und Haltung zuzuweisen.
Dabei sind die Darstellungsmöglichkeiten und die Bildmotive schier unerschöpflich: Manchmal lässt Tunick sie stramm stehen wie ein Bataillon FKK-Reservisten, manchmal splitternackt fahrradfahren oder lässt sie sogar die Po-Backen in Reih und Glied aneinander drücken. Tunick soll einmal gesagt haben: „Für mich ist der nackte Körper wie ein Rohmaterial und das gewählte Setting wie eine Leinwand.“
Ganz klar, dass Tunick mit seiner Kunstform sensationshungrige Medien schnell anlockt. Und wenn der Meister im Internet um Teilnehmer bittet, dann braucht er auch da nicht lange zu warten – ganze Pilgerschaaren folgen seinem Aufruf, freiwillig und ohne Bezahlung. Lediglich einen Abzug einer Fotografie erhält jeder Komparse für den öffentlichen Strip. Mir stellt sich hier die Frage: Warum tun das die Leute? Ist es eine besondere Gruppendynamik, die alle Scham nimmt oder die Anonymität in der Masse, die es erlaubt, nur einfach mal ein Mensch sein zu dürfen?
„Einmal was tun, was keiner erwartet hätte“
Die Wiener Journalistin Kathrin Hummel war bei einer Stadionaktion des Künstlers dabei und schrieb in ihrer FAZ-Reportage: „Ich will Bestandteil eines Kunstwerks werden. Für 14 Uhr hat Spencer Tunick zum Stadioneingang „Sektor B, 2. und 3. Rang“ gebeten. Als ich eintreffe, stehen schon hunderte da (…) und die meisten geben so locker über ihre Motive Auskunft, als gehe es hier nur darum, sich für ein Eis anzustellen. Ein fünfzigjähriger Anwalt aus Frankfurt meint etwa: „Da ist die Idee dabei, einmal im Leben was Witziges zu machen und eine Frau Mitte dreißig will einmal im Leben was tun, was keiner von ihr erwartet hätte.“
Ist die Blöße seiner Komparsen nur Sinn und Zweck für den Künstler, um aus jeder Aktion ein öffentliches Spektakel zu machen? Tunick: „Meine Arbeit ist auch der Versuch, gewohnte Sichtweisen auf die Nacktheit in unserer Kultur herauszufordern. Wenn man 300 nackten Menschen in der Grand Central Station in New York begegnet, dann bringt es einen dazu alle möglichen sozial-politische Themen zu überdenken.“ (Quelle ArtCity Düsseldorf) 2007 standen beispielsweise 600 Männer und Frauen nackt und barfuß auf dem Aletsch-Gletscher in der Schweiz, als hätte sie eben ein Ufo aus einer anderen Welt dort abgesetzt. Es war eine ästhetische Protestaktion, die auf das Sterben der Gletscher aufmerksam machen sollte.
Tunicks Erfolgsrezept ist simpel: Er verbindet die Komponenten „Nacktheit“ plus „Menschenmassen“ plus „sensationelle Kulisse“.
Die Fotografien sind einzigartig, doch die Inszenierung davor ist ein Medienereignis für sich. Und eines ist klar: die Motive gehen dem New Yorker Künstler niemals aus und sein menschliches Material ist wie ein nachwachsender Rohstoff.
FAZ.NET Reportage:
„Ich friere so, dass ich wehrlos bin“ von Wiener Journalistin Kathrin Hummel
Fotos von Tunicks Hallenings über die Google-Bildersuche:
http://images.google.de/images?q=Spencer%20Tunick
Die Homepage des Künstlers:
http://www.spencertunick.com
Photo taken by Robert Grassi at the Aletsch Glacier in Switzerland 2007.08.18 of Spencer Tunick preparing an installation on the ice with Greenpeace (released into the public domain by its author, Robertgrassi at the wikipedia project).
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Hermann Pavelka-Denk
…unglaublich, was er bewegt!