Die Wege, die Menschen zur Kunst führen, sind sehr unterschiedlich. Auch die Zeitpunkte, zu denen die Kunst in das Leben eines Menschen tritt. Und manchmal muss ein Künstler erst das richtige Medium finden, damit seine Kunst zu einer gewaltigen Kraft werden kann. So wie im Fall der Künstlerin Renate Binnig.
Für gewöhnlich behaupten Maler, sie hätten immer schon gemalt. Nicht so Renate Binnig. Sie sagt, sie hat nie gemalt, nicht einmal gewusst, dass in ihr ein solches Talent schlummert. Und doch spürte sie, dass da noch „etwas Gewaltiges wartet“. Und das kam 2005 mit aller Vehemenz heraus. Ist es etwa ihre Seele, die damals zu reden begann, mit Worten aus Pinsel und Farben?
So unglaublich lange es dauerte, bis sie ihren künstlerischen Weg fand, so unglaublich intensiv war der erste Kontakt. „Es war, als zöge es mich förmlich hinein in meine Kunst.“ Seither ist Renate Binnig von früh bis spät in ihrem Atelier, kann Stunden ohne Unterbrechung malen und oft steht sie mitten in der Nacht auf, so treibt sie die Unruhe herum, ehe ein Bild vollendet ist.
Binnigs großformatige Bilder sind nicht richtig expressionistisch, auch nicht wirklich surrealistisch. Wenn sie zu malen beginnt, dann hat sie zuerst kein Motiv im Kopf, komponiert keinen Farbaufbau. „Alles was entsteht, kommt aus dem Bauch heraus“, sagt sie. Erst mit der Vollendung ihres Werkes gibt sie ihrer Spontanität den künstlerischen Feinschliff.
Renate Binnig fängt oft mit einer lasierenden Grundierung an. Diese samtweiche Farbgestaltung passt charakteristisch zu der ruhig anmutenden Frau. Doch so zurückhaltend ist die Malerin im Grunde gar nicht, sie kann durchaus richtig grob werden im Umgang mit ihrem Material. Ungestüm fährt sie dann mit dem Pinsel über die harmonische Grundierung, als würde sie sie mutwillig zerstören, spritzt die Acrylfarbe aus der Flasche direkt darauf, schmiert teils mit den Händen darin herum. Und manchmal gipfelt ihre ganze Aktion, indem sie die farbennasse Leinwand mit Wucht in den Bauschutt wirft. So entstehen wilden Strukturen auf der flächigen Grundierung, in denen plötzlich Umrisse zu erkennen sind.
Zwischen den Strichen und Farbflächen tauchen Figuren und Gesichter auf. Sie wirken wie Seelenbilder. Eines heißt „Trigespräch“ und ein anderes trägt den Titel „Vergehe und werde“. Es sind mystische Bilder, schwermütige Farben, verletzliche Formen. Figuren so zart und zerbrechlich wie Pergament und andere, so plakativ und schelmisch wie Narren. Renate Binnig sieht ihre künstlerischen Werke eher unkompliziert: „Ich male meine Empfindungen. Erst wenn in mir Ruhe einkehrt, bin ich fertig.“
Die Österreicherin ist im Burgenland aufgewachsen. Als Kind ging sie gerne alleine im Wald spazieren, erzählt sie, und es kamen ihr Phantasiegeschichten in den Sinn. Binnig ist überzeugt: „Es sind die gleichen Geschichten auf meinen Bildern.“
Bis vor kurzem stand die heute 52-jährige im Berufsleben. Sie hat einen Beruf im Bereich Wirtschaft und Tourismus gelernt, ein Hotel in München geführt und 2000 mit ihrem zweiten Ehemann Gerd Binnig, dem deutschen Physiker und Nobelpreisträger von 1986, ein eigenes Unternehmen aufgebaut, die heutige Definiens AG mit Sitz in München. Renate Binnig war dort Personalchefin und stand erfolgreich ihre Frau in der Männerdomäne der IT-Branche, bis sie ihre gesundheitliche Verfassung in die Horizontale zwang. Dann war plötzlich der richtige Zeitpunkt für ihre Kreativität gekommen. Zuerst näherte sie sich gemeinsam mit ihrem Mann der Bildhauerei. Es blieb bei dem Ausgleich zum Job. Dann kam die Malerei, die sie nicht mehr loslassen sollte. Binnig lernte bei der Schweizer Künstlerin Doris Walser, ergänzte ihr Grundlagenwissen an der Freien Kunstwerkstatt und im Zeichenstudio Zeiler in München und ging 2008 und 2009 durch die harte Schule der Salzburger Sommerakademie.
Renate Binnigs Künstlervita ist noch kurz. Nur eine Ausstellung hat sie vorzuweisen. „Für mich war die eine Besondere“, sagt sie. Ihre Bilder hingen 2008 im IBM-Forum Switzerland in Zürich. Eigentlich mag die Künstlerin den Rummel in der Kunstszene nicht. Sie malt eher, um ihrer Gefühle willen. „Es sind Impulse, die mir sagen, nimm diese Farbe, male jene Form.“ Ja – es muss die Seele sein, die ihr diese Impulse gibt. Vor fünf Jahren hat sie zu reden begonnen und vermutlich wird sie noch vieles erzählen können.
Website von Renate Binnig:
http://www.renate-binnig.de
Alle Fotos mit freundlicher Genehmigung der Künstlerin (© Renate Binnig).
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Moon McNeill
Nach dem Lesen dieses Artikels möchte ich der Malerin mein aktuelles Buch „Wenn Kunst krank macht. Vom allzu sorglosen Umgang mit Künstlermaterialien“ ans Herz legen, weil ich nicht nöchte, dass sie ihre Malerei irgendwann zu den Akten legen muss. In der Beschreibung ihrer Malweise fand ich aber etliches, was dringend der Optimierung bedarf!
Profi oder Laie – der Gesundheitsschutz geht immer vor! Denn: niemand kann ausschließen, dass er ohne sein Wissen bereits die Ursachen und Vorbedingungen in sich trägt, die eine Erkrankung durch Toxine in Künstlermaterialien wahrscheinlich machen. Hier wird zu wenig Aufklärung betrieben – und das absichtsvoll und um des Gewinns willen! Merke: auch geringe Dosen Chemie in Künstlermaterialkien können auf Dauer krank machen, Allergien, Asthma, Umwelterkrankungen oder Hauterkrankungen auslösen.
Eilhardt
Ob als Leiterin eines Hotels, eines Betriebes oder das Studium der Kunst – es ist die Kraft in Frau Binnig, die sie das tun lässt. Frau Binnig hat eine Möglichkeit gefunden, effektiv ihre Talente zu nutzen – angstfrei und beharrlich. Vielen Künstlern ist die Möglichkeit nicht gegeben, ihre Visionen umzusetzen. Unbeholfen taktieren sie immer mit ihren Selbstzweifeln, ihren Prägungen und Gewohnheiten.
Ich wünsche Frau Binnig viel Erfolg und möge das Malen ihr zu Glück und Zufriedenheit verhelfen.